Sonntag, 22. Juni 2008

Basale Kommunikation nach Winfried Mall

Angestoßen durch das unerzogen-Magazin, dessen Heft 2/08 Kommunikation zum Leitthema hat, schreibe ich hier über die "Basale Kommunikation" nach Winfried Mall.

Winfried Mall (geb. 1952) (Heilpädagoge, Ausbildung in Integrativer Körpertherapie, Praxisbegleiter in Einrichtungen der Behindertenhilfe, Qualitätsbeauftragter in Einrichtungen der Jugend- und Behindertenhilfe, Supervisor, Autor) entwickelte das Konzept der Basalen Kommunikation selbst. Den Begriff "Basale Kommunikation" verwendet Mall meines Wissens erstmals in einer Veröffentlichung 1980 (Mall 1980, S.298)

Kommunikationsmodelle

Mall will Kommunikation in einem sehr weiten Sinn verstanden wissen, wonach der Satz Paul Watzlawicks gilt, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Er legt aber auf die Unterscheidung zwischen negativer und positiver Kommunikation Wert. Negative Kommunikation verhindert eine Verbindung zwischen Mensch und Umwelt oder bricht sie ab, positive Kommunikation schafft Beziehung und ermöglicht Verständigung (vgl. Mall 1992, S.23).

Es gibt verschiedene Ansätze oder Modelle von dem, was Kommunikation kennzeichnet. Mall stellt zwei Kommunikationsmodelle vor, die dem Konzept der Basalen Kommunikation zugrundeliegen.

Das erste Modell beschreibt die Dynamik menschlicher Interaktion mit der Welt als Wechselspiel zwischen Einflussnahme ("Ich passe die Umwelt mir an.") und Anpassung ("Ich passe mich der Umwelt an.") (vgl. Mall 2006, S.2). Es geht zurück auf Piaget, der die Begriffe Assimilation und Akkomodation in diesem Zusammenhang prägte.

Erst das immer wieder neu einzupendelnde Gleichgewicht zwischen beiden Polen ermöglicht es, sich in der Umwelt einigermaßen zufriedenstellend zurechtzufinden. Im ersten Atemzug - Fremdes aufnehmen im Einatmen, Eigenes abgeben im Ausatmen - oder in der fortschreitenden Anpassung des Saugmusters an die Mutterbrust wird schon ganz früh dieses Wechselspiel deutlich, das die vorgeburtliche Situation im Mutterleib in der ersten Beziehung fortsetzt, und das auch weiterhin jedes echte Lernen prägt. (Mall 1992, S.2)

Das zweite Modell beschreibt Kommunikation als einen Kreislauf, der durch das wechselseitige Sich-aufeinander-Beziehen der beteiligten Kommunikationspartner in Gang gehalten wird. Dabei liegt der erste Schritt bei einem selbst/mir, so Mall. Der Andere zeigt ein Verhalten. Ich nehme sein Tun als Äußerung wahr und antworte darauf mit einem passenden Tun, wobei die Betonung auf "passend" liegt. Auf diese Weise erlebt der Andere Antwort auf sein Tun. Der Kreislauf schließt sich, indem der Andere auf meine Antwort ein Verhalten zeigt und ich dies als Äußerung wahrnehme. (vgl. Mall 2006, S.3)

Was ist Basale Kommunikation

Basale Kommunikation bezeichnet eine spezifische Vorgehensweise zum Aufbau einer Kommunikation mit Menschen, die nicht über verbale oder andere, Symbole benutzende Kommunikationsweisen kommunizieren können. Mall nennt insbesondere Menschen mit schwerer geistiger Behinderung, Menschen mit ausgeprägtem autistischen Verhalten und eingeschränkter Sprechfähigkeit, Menschen mit Wachkoma und apallischem Syndrom sowie Menschen mit geronto-psychiatrischen Zuständen im Sinne einer Demenz. Bei Menschen ohne Behinderung kann die basale Kommunikation im Sinne einer psychosomatischen Selbst- und Partnererfahrung eingesetzt werden.

Ihren Sinn verliert Basale Kommunikation bei Personen, deren umweltbezogenes Bewusstsein weiter entwickelt ist. Sie finden das Verhalten der Bezugsperson komisch, beginnen zu agieren, ihr Atemfluss verliert seine Spontanität. Basale Kommunikation bewegt sich im vorbewussten Gebiet und sollte nicht primär vom bewussten Verstand mitvollzogen werden. Hier gibt es sicher andere, entwickeltere Kommunikationsweisen. (Mall zitiert nach Niehoff/Greving 2005, S.1)


Die Basale Kommunikation benutzt körperliche Verhaltensweisen der Person, zu der es Kontakt aufzunehmen gilt, zur Kommunikation mit dieser Person. Die Verhaltensweisen, insbesondere die Atmung, Bewegungen des ganzen Körpers und/oder des Kopfes, der Arme, Hände und Beine sowie Lautäußerungen, werden aufgegriffen, widergespiegelt und variiert. Es werden also ähnliche Verhaltensweisen angeboten, um die Kommunikation anzuregen und einen Kreislauf der Kommunikation in Gang zu bringen (vgl. Mall 2001, S.19). Der Körperkontakt zwischen den Kommunikationspartnern spielt immer auch eine Rolle.

Das Konzept der Basalen Kommunikation beruht auf einer Analogiebildung zu der Kommunikationsentwicklung, die in den ersten Lebensmonaten des nicht behinderten Säuglings zu beobachten ist.

Eigene Beobachtungen

Bei der Verständigung mit meinem Baby habe ich nachvollzogen, was basale Kommunikation ist. Körperkontakt spielt eine wichtige Rolle, denn über den nahen Kontakt, nehme ich vieles am Kind wahr, teilt sich mir vieles mit, was das Kind mir auf andere Weise nicht beschreiben kann. Ich spüre seinen Spannungszustand in Armen und Beinen und Rückgrat, fühle seine Atmung, ob es warm ist oder kalt. Auf diese Mitteilungen reagiere ich nicht nur mit der Stimme, sondern mit meinem ganzen Körper und fühle direkt die Reaktion des Kindes darauf. Mein eigener ruhiger, tiefer Atem könnte das Kind beruhigen. Vielleicht nimmt das Kind eine Wiegebewegung auf und ich führe sie mit ihm gemeinsam fort. Wenn das Kind mit seiner Stimme Laute malt, gebe ich sie wieder in kleineren oder größeren Abwandlungen. Über den Tonfall der Laute teilen sich mir Emotionen mit. Das, was sich mir vermeintlich mitgeteilt hat, lege ich in meine kreative Nachahmung, die doch eher eine Erwiderung als eine Nachahmung und in keinem Fall ein Nachäffen ist, hinein. Steigt das Kind darauf ein, habe ich eine gewisse Rückmeldung, wie weit meine Interpretationen der kindlichen Äußerung, zutreffen. Auf jeden Fall, ob über Körperkontakt allein oder über die Stimme, aber auch mit anderen Mitteln (z.B. Aufnehmen einer Bewegung ohne Körperkontakt), ist ein Dialog da, eine Verbindung von Mensch zu Mensch.

Ich habe für mich festgestellt, dass ich Elemente basaler Kommunikation auch bei der Verständigung mit älteren Kindern und Erwachsenen einbringe. Es gehört dazu, mich auf mein Gegenüber einzustimmen. Es ist eine Weise, mich einzufühlen in den Anderen.

Zum Beispiel ist es ein allgemein beobachtbares Phänomen, dass der Zuhörer mit seinem Stimmapparat in gewissen Grenzen nachvollzieht, wie ein Anderer spricht oder singt. Allein das Hören einer entspannten, lockeren Stimme kann Verspannungen im eigenen Kehlkopfbereich lösen helfen. Auch beobachtbar ist, wie der Tonfall eines Gesprächspartners bei seinem Gegenüber Erwiderung findet. Solche Dinge provozieren wir im Gespräch miteinander nicht bewusst, sonst wäre es je nach Situation wirklich komisch bis unangenehm für den einen oder anderen Gesprächspartner.

Ich denke, es gehört zum Elementaren von Kommunikation, dass die Kommunikationspartner mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nachvollziehen, was der Andere ausdrückt. Atmung, Mimik, Gestik und Stimmbänder und Gebärde kommen auf diese Weise zum Einsatz. Rittelmeyer könnte hierin ein Beispiel dafür sehen, wie der Körper als Organ des Verstehens arbeitet und eben nicht nur die sog. Schaltzentrale, das Gehirn. Zwar ist es Allgemeingut, dass nicht nur über Sprache kommuniziert wird, aber dennoch scheint uns der Zugang zu Menschen verschlossen, die nicht über Sprache oder Zeichensprache oder ein anderes Symbolsystem kommunizieren, zumal wenn ihre Körperhaltung, ihr Blick oder ihre Mimik unseren Erwartungen an einen Gesprächspartner völlig widersprechen. Die Basale Kommunikation nach Winfried Mall macht Wissen um das Elementare nutzbar für den Zugang zu solchen Menschen.

Buch-Literatur:
Mall, Winfried (1992) Kommunikation mit schwer geistig behinderten Menschen. Ein Werkheft. (2. Aufl.) Heidelberg
Nienhoff, Dieter/Greving, Heinrich (Hrsg.) (2005) Basale Stimulation und Kommunikation. Berlin
Texte aus Fachzeitschriften und Vorträgen:
Mall, Winfried (2006) Sensomotorische Lebensweisen - ein Verständniskonzept für Menschen mit geistiger Behinderung. In: heilpädagogik.de, Fachzeitschrift des Berufsverbands der Heilpädagogen. 20.Jg. Heft 3+4/2005. überarbeitete Fassung vom 12. April 2006 auf winfried-mall.de/pdf/verstaendniskonzept.pdf
ders. (2001) Was von diesen Menschen kommt, passt zu uns - Basale Kommunikation. In: Orientierung - Fachzeitschrift der Behindertenhilfe. 2/2001. S.17-19
ders. (1980) Entspannungstherapie mit Thomas. Erste Schritte auf einem neuen Weg. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie. 29. Jg. Heft 8/1980. S.298-301

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Eine schöne, einfühlsame Darstellung meines Ansatzes. Danke! Auch ich habe im Umgang mit meinen Kindern im Säuglingsalter ganz massgebliche Erfahrungen bezüglich Kommunikation gemacht. Es freut mich zu sehen, wie andere meine Ideen aufgreifen und weiterentwickeln.

sumpffuss hat gesagt…

Das hätte ich nicht für möglich gehalten, dass Sie, der Autor selbst, hier kommentieren. Ich danke Ihnen sehr dafür. Es ist schön, einmal zu wissen, wie weit mein Verständnis dem entspricht, was ein Autor/eine Autorin meint und ob er/sie sich richtig wiedergegeben sieht.

Vielen Dank!