Sonntag, 30. November 2008

Heinrich Jacoby - Die Existenz des Schöpferischen

Dieser Artikel umfasst drei Blogeinträge.

Die Existenz des Schöpferischen im Kind wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht von Jacoby allein behauptet. Die Kunsterziehungsbewegung hatte die so genannte subjektivistische Potentialitätsanthropologie, der die Idee von den schöpferischen Kräften, von der Selbstmächtigkeit und der Autarkie des Individuums entstammt, in die Zeit der Reformpädagogik des 20. Jahrhunderts hinübergerettet. Jacoby hat, unbeirrt auf dieser anthropologischen Grundannahme aufbauend, seine Gedanken zum musikpädagogischen Umgang mit dem Menschen entwickelt. In seinen Reden auf verschiedenen Tagungen und
Kongressen, die uns schriftlich erhalten sind (Ludwig 1984), hat er seine pädagogische Position eindrücklich beschrieben und begründet. Ich referiere daraus einen kleinen Teil, der mir selbst bedeutsam erschien und vielleicht für die Leserschaft des Blog von Interesse sein mag.

Biographischer Abriss zu Heinrich Jacoby

Heinrich Jacoby (1889-1964) war bis 1940 deutscher Staatsbürger, lebte aber seit 1933 gezwungenermaßen im Exil in der Schweiz und kam 1955 in den Besitz der Schweizer Staatsbürgerschaft. Sein beruflicher Werdegang begann mit der Aufnahme eines Musikstudiums 1907 in Straßburg. Dort war er von 1908 bis 1913 Schüler in der Kompositions- und Dirigentenklasse von Hans Pfitzner und unter der Direktion desselben seit 1909 auch Kapellmeister und Regievolontär am Straßburger Stadttheater. An der Straßburger Universität besuchte er neben seinem Musikstudium auch Vorlesungen über Philosophie und Psychologie.
Letzterer Fakt mag ein Indiz dafür sein, dass Jacobys Interesse an der Musik schon damals über das Bestreben, Musik zu „machen“, hinausging. Weil er die traditionelle Musikerziehung ablehnte, heißt es (vgl. Ludwig 1984, S.101), wurde er 1913 Lehrer für Harmonie- und Formenlehre an der Lehrerbildungsanstalt Jacques Dalcroze in Dresden-Hellerau. Außerdem arbeitete er an der Einstudierung der dortigen Festspiele mit. Ab 1915 leitete Jacoby die
Lehrerbildung an der „Neuen Schule für angewandten Rhythmus“ in Dresden Hellerau. Seinen Weg als Musikerzieher setzte er fort und beschäftigte sich im selben Zuge mit der Zweckmäßigkeit und den Grenzen einer Sinnesschulung und mit den Ursachen der Entstehung von „Unbegabtheit“ (Jacoby) auf dem Gebiet der Musik. Als Leiter der Musikerziehung an der Odenwaldschule von 1919 bis 1922 untersuchte er Störungen der Ausdrucksfähigkeit durch die
Kleinkinderziehung. 1922 bis 1924 half er beim Aufbau einer höheren Versuchsschule in Dresden-Hellerau. Von Dresden ging er 1928 fort nach Berlin, wohin er als Privatgelehrter schon seit einigen Jahren Beziehungen besaß. In Berlin stellte er die Ergebnisse seiner jahrelangen Untersuchungen Lehrern, Ärzten, Heilpädagogen, Psychotherapeuten und ausübenden Künstlern in eigens dafür gegründeten Arbeitsgemeinschaften vor. Die Erfahrungen auf dem Gebiet des musikalischen Ausdrucks übertrug er auf Probleme des Sprechens, der
Stimme, der Sprache, der Bewegung und der bildnerischen Gestaltung. Ihn beschäftigten Untersuchungen über die Bedeutung von Zustand und Verhalten für die Qualität von Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Gestaltungsvorgängen unter ganzheitlichen Voraussetzungen. Die Situation in Deutschland 1933 zwang Jacoby in die Emigration. Jacoby verlor nahe Familienangehörige im Nationalsozialismus; das Exil war lebensrettend. Seine Arbeit jedoch konnte Jacoby auch in der Schweiz nicht ungehindert fortsetzen. Was er bis dahin an
Ideen und Erkenntnissen gesammelt hatte, durfte er nicht veröffentlichen, weder in der Rede noch im Druck. Möglicherweise ist das der Grund für den Mangel an Beachtung, der Heinrich Jacoby in Standardwerken wie Gruhns „Geschichte der Musikerziehung“ (1993) und Ehrenforths „Geschichte der musikalischen Bildung“ (2005) widerfährt.

Im nächsten Blogeintrag folgt (2) Jacobys Konzept einer Musikerziehung

Literaturnachweis:
Ehrenforth, Karl Heinrich (2005) Geschichte der musikalischen Bildung. Mainz.

Gruhn, Wilfried (1993) Geschichte der Musikerziehung. Hofheim.

Ludwig, Sophie (Hg.) (1984) Heinrich Jacoby. Jenseits von „Musikalisch“ und „Unmusikalisch“. Die Befreiung der schöpferischen Kräfte dargestellt am Beispiele der Musik. Hamburg.

Keine Kommentare: