Montag, 19. Mai 2008

Strafen in der Pädagogik Neills

Es widerspricht meiner inneren Überzeugung zu strafen. Möglicherweise fühle ich nicht immer so, das heißt, es könnte der Fall eintreten, da jemand etwas tut, für das ich ihm schreckliche Buße wünsche. Aber im Grunde lehne ich Strafe/Bestrafung ab.

Erstaunlich war für mich die Existenz von Strafen in Summerhill.

Was ist Strafe? Was bedeutet sie für den, der straft? Was bedeutet sie für den Bestraften?

Antworten suche ich zunächst bei Neill. Er lehnt Erziehung im Sinne von Charakterformung ab. Er lehnt jede Moralität ab. Er lehnt auch Strafen ab. Dennoch drohen in Summerhill Strafen bei Regelverstößen. Ist das ein Widerspruch oder ist das keiner?
Neill stellte praktisch alle wesentlichen Grundüberzeugungen und Legitimationen der zeitgenössischen Erzieher in Frage: ihre Erziehungsziele, ihre Moralauffassung (freie Liebe und Jugendsexualität statt Ehe und Sexualunterdrückung!), ihre Religion, ihre Institutionen (Kirche, Armee, Ehe, Schule) ihre sozialen Werte (Schulerfolg, Bildung, Kultur, Ästhetik, sozialer Rang), die Erzieherautorität selbst, die Erziehungsmethoden, insbesondere das Recht zu strafen. Strafe und das absichtliche Erzeugen von Angst durch Strafdrohung bezeichnete er nicht nur als nutzlos und schädlich, sondern als Verbrechen.
(Kamp 1997, S.7)
So wie sich Summerhill und Neills Pädagogik mir in der Literatur darüber darstellt, wird versucht, Strafe von Moralität zu entkoppeln. Eine Moral, aufgestellt von einer anonymen, übergeordneten Instanz soll gänzlich wegfallen. Appleton, langjähriger Hausvater in Summerhill erklärt das am Beispiel von abschließbaren Schubladen, Schließfächern und Schränken: "Es ist viel besser, ein Schloss an einem Schrank zu haben, als ein Kind an geheuchelte Tugend zu ketten." (Appleton 2000, S.39) Im Tribunal, schreibt Appleton, wo Strafen verhangen werden, sei der Ton weder moralisierend noch psychologisch.

Es wird nicht versucht, über den Streitfall hinauszugehen, sondern er wird so praktisch und einfach wie möglich behandelt. Die Kinder in Summerhill sind ein unkomplizierter Haufen. Unsoziales Verhalten wird akzeptiert, aber nicht unterstützt. Mit "akzeptiert" meine ich auch nicht, dass es für "akzeptabel" gehalten wird. [...] Wenn ich sage, dass wir unsoziales Verhalten akzeptieren, meine ich, dass wir ihm nicht mit Schock oder Empörung begegnen, sondern mit handfesten, praktischen Lösungen. Wir können die Fehler anderer manchmal leid sein und uns über sie ärgern, aber wir fühlen uns nicht über sie erhaben.
(Appleton 2000, S.76f.)
Strafe ist ein Mittel der Gemeinschaft, geltendes Recht zu verteidigen. Beziehungsweise versucht der einzelne, der vor dem Tribunal Bestrafung fordert, sich noch einmal öffentlich ins Recht zu setzen.

Derjenige in Summerhill, über den eine Strafe verhängt worden ist, hat das Recht, die Strafe in Frage zu stellen. Er kann erklären, wenn ihm die Strafe zu hart erscheint oder er sich zu Unrecht bestraft sieht. In vielen Fällen, so Appleton, in denen der Bestrafte eine zu große Härte beanstandet, werde das Strafmaß gemildert oder die Strafe ganz zurückgezogen. (Eine Strafe wird per Mehrheitsbeschluss abgesegnet oder abgelehnt.) Die Strafen haben in meinen Augen eher den Charakter eines Aufmerksamkeitsbeweises - das begangene Unrecht/der Regelverstoß ist von der (Mehrheit der) Gemeinschaft als Unrecht/Verstoß gesehen worden. In einigen Fällen besteht die Strafe schlicht in der Aussprache einer Verwarnung. Manche Vergehen werden mit Puddingentzug oder geringen Geldstrafen geahndet.

In einem bei Appleton beschriebenen Fall hatte ein Kind seine Position als Mitglied des Café-Komitees missbraucht und Süßigkeiten und Schokolade gestohlen. Zur Strafe sollte das Kind ein Bücherregal für das Café bauen und das Café die nächsten drei Male putzen. Die Strafe fällt in diesem Fall härter aus, aber sie erscheint mir nicht als Auferlegung einer Buße. Mehr als Rachegedanken scheinen diesem Strafmaß Überlegungen um den Ersatz des entstandenen Schadens zugrunde zu liegen. Appleton betont, dass das Kind für sein Verhalten zwar hart kritisiert wurde, aber keine Diskussionen über sein Motiv abgehalten wurden. Nach der Entscheidung des Konflikts - und das berichtet Appleton auch für andere Streitfälle - wurde dem Kind nichts nachgetragen und ihm in keiner Weise unfreundlich begegnet.

t.b.c.

Appleton, Matthew (2000) (hrsg. von Falko Peschel) Summerhill - Kindern ihre Kindheit zurückgeben. Hohengehren
Kamp, Martin (1997) Die Pädagogik A.S. Neills. Fernuniversität Hagen

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