Mittwoch, 1. September 2010

Vergänglichkeit

In diesem Blogbeitrag: Auszug aus einem Interview. Frau Sumpffuss im Gespräch mit der Fotografin Moor. Man beachte die englische Aussprache des Namens, Frau Moor hat drei Jahre in London (Großbritannien) gelebt. Fotos zum Vergrößern anklicken.

Sumpffuss: Liebe Mrs Moor, ich habe Sie um Bilder zum Thema Vergänglichkeit gebeten und Sie antworteten, Sie seien Fotografin. Was meinen Sie damit?

Moor: My answer, meine Anwort habe ich ursprünglich als Widerspruch zu ihrer Anfrage betrachtet. I am a photographer, that means, ich filme nicht etwa, wie etwas vergeht, sondern ich liefere nur eine einzige Aufnahme. Auf den Bildern sehen Sie Zustände, aber nicht die Vergänglichkeit, that was my first thought.

Und dann?

Dann dachte ich mir, schicke ich Ihnen doch Zustände, snapshots, äh, Momentaufnahmen von Wiese und Wald. Alles verändert sich mit der Zeit. Everything could be shown under the topic Vergänglichkeit.

Schreibe ein Thema über ein Bild und der Betrachter wird es entsprechend ansehen?

Yes. Bild und Bildunterschrift setzen Assoziationen frei. Und noch etwas: die Vergänglichkeit, das Vergehen ist ein Prozess. Der läuft aber nicht mehr auf den Bildern ab, sondern im Betrachter, in the viewer, you understand?!
When I was taking that photograph of the mushroom, als ich den Pilz fotografierte, wollte ich allein diesen Zustand festhalten, das Gemälde, das er auf den Boden malte. Ich war dem Thema Vergänglichkeit dabei sehr nahe insofern, als ich dachte, dass ich genau im rechten Augenblick gekommen war und zum Glück mit Kamera. Am nächsten Tag wäre der Pilz vielleicht schon fort gewesen oder die schwarze Farbe vom Nachtregen in den Boden gespült, washed into the ground.

Der Betrachter Ihres Pilzbildes denkt doch wohl eher an den Pilz, der vergangen ist, oder?

Oh yes, I want to comment this. Auch für mich hat das Bild noch diese andere Bedeutung. Wobei ich nicht glaube, dass es jeder, die das Bild sieht, ähnlich gehen muss. Bei mir kommt noch hinzu, dass ich den Pilz schon ein paar Tage früher kannte, als er noch jung war und lebte. Sein Hut hatte sich noch nicht einmal geöffnet gehabt.

Die drei Fotos unter dem Titel "Blätter verschwinden" wirken auf mich dann aber doch, als wollten Sie das Vergehen eines Materials, Verzeihung, das Vergehen von etwas ehemals Lebendigem sichtbar machen.







(Moor lächelt nachsichtig) Es sind Zustände, nothing else, nichts anderes. Die drei Aufnahmen sind am selben Tag entstanden.

Gibt es den Zustand überhaupt? Die Blätter sind doch, wie wir sehen im Zersetzungsprozess.

Da sprechen Sie wohl gerade Ihren eigenen inneren Prozess an, Frau Sumpffuss. Natürlich zersetzen Sie sich nicht, entschuldigen Sie meine missverständliche Ausdrucksweise, ich meine natürlich nur die Entwicklung Ihrer Gedanken.

Aber räumen Sie denn gar nicht ein, dass es der Willkür unterliegt, etwas als Zustand zu bezeichnen? Und würden wir in der Welt überhaupt je auf etwas stoßen, das keiner Entwicklung unterliegt?

Ich will Ihnen gerne zustimmen, dass der Zustand eine ausgemachte Größe ist und alles in der mir bekannten Welt in Bewegung. In unserer Wahrnehmung allerdings, in meiner Wahrnehmung, erscheinen viele Dinge über fühlbare Zeiträume hinweg unverändert, beständig, oder ich nehme eben meine Kamera zu Hilfe und mache eine Momentaufnahme. Wie lange wollten Sie da beispielsweise vor den Blättern stehen, um die Zersetzung zu sehen?

Ich gebe zu, es ist schwer, das Vergehen minutiös zu verfolgen, und wahrzunehmen, was geschieht.
An Ihren Blätterbildern, Frau Moor, hat mich ja die Zartheit der Blattgerippe fasziniert und ihr Übergang in die Substanz des Untergrundes.

Oh, that's my topic, darüber spreche ich sehr gerne! Statt das Vergehen könnte ich auch das Werden oder Entstehen beschreiben oder die Wandlung. Im Herbst, in dem ich das Vergehen der sommerlichen Pracht bedauern könnte, treten neue Formen und Farben hervor. Especially the autumn foliage is wonderful. Red and yellow colours kommen aber nur zur Geltung, weil der grüne Blattfarbstoff sich abbaut. Und ich bilde die Blattnerven nicht ab, um den Verfall des Blattes zu betonen, sondern um diesen besonderen Augenblick im Lebenszyklus festzuhalten, der nicht anders als andere Zustände auch der Vergänglichkeit anheim fallen wird.

Ich verstehe es so, dass ein sagen wir gelbes, angewelktes Blatt sowohl Ausdruck für die Vergänglichkeit des Lebenssommers sein kann, als auch etwas Schönes an sich, dessen Vergänglichkeit man bedauern wird.

Ich habe beim Fotografieren stets letzteres im Sinn. Im Sommer wie im Herbst. Mir ist irgendwann früher wieder aufgegangen, wie zerbrechlich doch auch die Schönheit dessen ist, was wir allgemein schon dem Zerfall zurechnen. Nur für eine kurze Zeit leuchtet das Buchenlaub im Wald zu den Füßen. An dunklen Regentagen, wenn das Wasser die Blätter reinwäscht, fast noch mehr als an Tagen mit Sonne. Ich denke, es könnte immer so bleiben, ... wie mir derselbe Gedanke auch im Sommer kommt. Die Schalen der Bucheckern sind hell und samtig innen und die Kastanien glänzen. Die Kinder wünschen sich, Kastanien blieben immer so, wie sie aussehen, wenn sie gerade frisch gefallen sind.


Aber wieso eigentlich, Mrs Moor, stellen Sie mir ein Bild mit einem toten Fisch zur Verfügung und nicht eins mit, sagen wir, Blütenkätzchen? Denken Sie beim Thema Vergänglichkeit an den Tod?

Also erstens ist das Fischbild von meiner letzten Ausstellung übriggeblieben und war deshalb im Preis gesenkt und zweitens können Sie sich, Frau Sumpffuss, meine Frühlingsbilder überhaupt nicht leisten. Das liegt daran, dass der Frühling besonders vergänglich ist.

Und der Tod?

Auch noch im Tod ist alles vergänglich, das habe ich ja bereits zu den Blättern bemerkt.

(Sumpffuss unterbricht Moor) Ist denn der Fisch nicht mehr als ein Blatt? Ich meine, er hat doch zumindest ein Auge!

Sicher, als Rezipient haben Sie die Wahl, meine Bilder so oder so zu betrachten. Und Sie dürfen interpretieren, wie Sie wollen. Zum Beispiel könnte es einem einfallen, das Augenmerk auf die Eisschicht zu legen. Sie wirkt nicht sehr fest. Noch ein bisschen mehr Sonne, und sie schmilzt dahin. Damit gibt sie den Fisch dem Verwesungsprozess frei - wobei wir hier nicht nur an Tod denken müssen, sondern auch an das Leben, das diesen Prozess bedingt, die vielen Bakterienarten und Pilzsorten, die daran beteiligt sind, und im See geht das Leben weiter. Und das Auge? Yeah, the eye ... It is looking directly into my lens, isn't it?

Ist das nicht gemein zu dem Fisch?

Ach, wissen Sie, dazu eine Geschichte vom Meer: Die Wellen hinterlassen am Strand Linien, Wellenlinien aus Muscheln. Und weil sie so unterschiedlich aufs Land laufen, gibt es mehrere Linien, die sich immer wieder überschneiden. Auf so einer Linie habe ich einen Fisch gefunden. Er war tot und sah immernoch wundervoll aus. Sein Leib glänzte in verschiedenen Farben. Es war ein sehr kleiner Fisch, eineinhalb Büroklammern lang und sehr dünn. Ein Kind kam an und meinte, dieser Fisch sähe aus wie ein Kettenanhänger, also Schmuck. Es hielt den toten Fisch zum Betrachten eine Weile in seiner Hand. Ein anderes noch sehr junges Kind wollte den Fisch auch sehen. Es hat ihn ins Wasser geworfen, sich gefreut und gesagt, Now it lives again! Dann wollte es noch mehr Fische finden und wiederbeleben.

(Sumpffuss sehr nachdenklich) Ja, ja.

2 Kommentare:

mkh hat gesagt…

Die Welt, der ewige Kreis. - Wunderbar geschrieben, das Interview zur Vergänglichkeit.

sumpffuss hat gesagt…

Ja, es beschäftigt mich gerade sehr. Auf deinem Blog lese ich nun auch von der Zeit und leben und sterben ...
War schon länger daran, meine Gedanken zum Vergehen zu sammeln und wollte sie auch gerne teilen. Es hat gedauert, bis ich die Idee in eine Form gebracht hatte, die ich in die Öffentlichkeit stellen mag.