Samstag, 26. Dezember 2015

Suche

Als ich im Februar vor zwei Jahren mit einer Schachtel durch den Wald ging, war ich nicht allein. Nein, ich rede nicht mit Schachteln und niemand, den ich kenne, passt in eine Schachtel von so geringer Größe. Eine Streichholzschachtel, die an jenem Tage nicht zum ersten Mal einem anderen Zweck diente als dem, Streichhölzer aufzubewahren. Sie war meine Kamera.
Der Tag hatte mehr Blau als die Tage davor und mehr als ein Weiß und Flecken auf der Oberfläche1. Ich stellte die Schachtel auf erhabene Stellen im Waldboden.
Sie trug eine schwarze Ummantelung und hatte ein Loch, das sollte ihr Auge sein. Die Schachtel konnte  nichts sehen. Da gibt es keinen Unterschied zu einem gewöhnlichen Streichholzschächtelchen. Ich ließ Bilder entstehen auf einem Filmstreifen, der innen auf der Rückwand der Schachtel lag. Ich ließ Licht durch das Loch. Das dauerte Sekunden. Großes Kino in einem Schächtelchen. Sein dunkler Raum wird in diesen Sekunden um ein Vielfaches weiter, was da alles reinpasst! Dennoch hielt ich es nicht für möglich, dass mehr in der Schachtel sein könnte, als ein Filmstreifen und wenige Kubikzentimeter Luft.

Solche Luft, die wir atmen, die atmete Glubschi auch.

Er öffnete die Augen mit Mühe.
Sie tränten und die Wimpern klebten.
"Deine Guckerchen,"
pflegte seine Mutter ihn zu wecken, "nun bring sie schon auf."
Jetzt half ihm niemand und das erste Licht, was durch den Spalt zwischen seine Lider drang, zwang ihn sogar, die Guckerchen wieder zu schließen.

Glubschaugen.

Das waren die Hänseleien auf dem Schulhof.

Mit Willen brachte er sie auf, der Schmodder zog Fäden, die es zerriss. Sonne brach sich in den Schmodderfetzen!
Sonne,
das hatte er schon begriffen.
Glubschi blinzelte absichtlich, um die Farben länger betrachten zu können. Regenbogen flogen solange, bis seine Augen trocken waren.



Dann sah er die Welt
unscharf, weit und nah.

Das Nahe war etwas zu weit entfernt, wenn er es anfassen wollte, und das Weite so nah, dass er hineinzufallen drohte.


Ich brachte Glubschi weit in der Welt herum. So kam sie ihm mit einem Disch entgegen und mit einem Wusch flog sie hinter ihm weg. Ohne anzustoßen.
Gab es ein Hinter ihm? Das wusste er, auch wenn ich die Schachtel drehte, nicht.
Immer blieb etwas in seinem Rücken oder nichts.
Wenn ich gewusst hätte, wie still er hielt und versuchte, nicht zu atmen, um herauszufinden, was im Rücken lauerte, wie es ihn zum Luftholen nötigte. Es - das Nichts, das ihn im Luftanhalten zusammenzieht, der Augenblick, bei dem es nicht bleibt. Die Luft war eisig.


Auf fast allen Bildern hält Glubschi sich zwei Augen zu. Er hat nur zwei Hände. Mit den anderen Augen schmult er, ob die Welt, in der er aufgewacht ist, immer noch da ist. Hinter den Augen, die nichts sehen, denkt es. Glubsch versucht sich zu erinnern, an welchem anderen Ort er eingeschlafen war.

Ich habe meine Bilder von jenem Tag erst Wochen später auf Papier betrachten können. Mit der Filmentwicklung war ich säumig. Darum ist mir Glubschi entgangen.

Bis zum Betrachten der Bilder, hatte ich noch nie von Glubschi gehört. Nicht im Entferntesten. Und ich hörte auch nie wieder von ihm. Allein die Bilder waren es, die mich auf seine Anwesenheit stießen. Das Wunder jenes Tages hatte ich durch das winzige Loch in meiner Schachtel einlassen wollen, die Februarluft, das Licht, das den Reif auf Laub und Zweigen antastete und übers Eis schlitterte.
Auf den Bildern spürte ich seine Anwesenheit.
Ganz klar, suchte ich zuerst auf den Bildern nach Glubschi. Und natürlich fand ich ihn nicht. Denn die Bilder  - das waren gar nicht meine Bilder, die ich gemacht hatte, das waren seine Bilder, Glubschis, die er gesehen hatte mit seinen komischen Augen.

Ich mache mir keine Vorwürfe wegen vor zwei Jahren, ich sage auch nicht, hätte ich doch ..., hätte ich doch nur zu der Schachtel gesprochen. Er hätte sich gemeint gefühlt und wäre ... Ich rede bis heute nicht mit Schachteln. Vielleicht auch deswegen.


1 Flecken auf der Oberfläche, die mich an Außerirdische denken ließen.


Donnerstag, 3. Dezember 2015

Schnipsel



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