Ist es wirklich nötig gewesen, für die paar Tage im Jahr das Laubkleid auszuziehen? Überlegt Ihr es euch im nächsten Jahr anders? Oder wollt Ihr immer so weitermachen. Rituale helfen manchmal. Kann sein. Und. Achso, Ihr müsst euch umziehen. Genauso ist es. Es geht nicht nur darum, sich zu entblättern. Und nackt rumzustehen. Da kommt was Neues. Die Saison. Hellgrün ist angesagt. Neu macht der Mai. Ich weiß das zu schätzen. Obwohl ich das Hellgrün nicht mag. Zu grell, finde ich. Neon. Da gefällt mir fast wieder das Nackte. Bleibt so. Bleibt kurz so stehen, ich will euch fotografieren. Ein Gruppenfoto. Für meine Erinnerungen, damit ich weiß, wie Ihr einmal wart. Die Kiefern sind jetzt auch im Bild, naja, macht nichts. Ihr seid oben nicht kahl, das weiß ich. Aber untenrum schon. Ich liebe euch. Ihr seid gute Bäume alle miteinander. Wenn ich mich jetzt umdrehe, dann weiß ich euch geschlossen hinter mir.
Was gelingt es mir, Bäume um mich zu versammeln. Die rauschen können. immerhin.
Ihr Bäume habt Zeit. Habt Zeit zu wachsen und groß zu werden. Der Kleiderwechsel wiegt mich selig in meiner eigenen Zeit. Ich denke, ein Jahr sei vier Zeiten lang, allein schon der Winter sei lang und hart. Aber für euch Bäume ist es nur ein Augenblick des Umkleidens. Rückzug des Lebenssaftes aus dem alten Kleid, Innehalten und Besinnung,
Weiterwachsen.
Ihr seid eure eigenen Baumeister.
Mir sollte schwindlig werden, an euch hinauf zuschauen. Auf Augenhöhe bin ich mit dem Stamm. Er ist mein Gegenüber, wenn ich mit euch rede. Als wäre das nicht genug, mich von euch zu überzeugen, Über mir ein Rauschen. Unter mir ein Wurzelreich. Eures. Nie setzt Ihr die Krone ab. Schwindeln sollte mir, in euer tiefes Reich abzugleiten, zu fallen, einzugehen.
Ich habe das Gespräch mit euch gesucht. Verzeiht, wenn ich es falsch angefangen habe. Ich wollte euch nicht in eurer Kammer stören. Die neuen Kleider liegen bereit. Gewiss. Doch in mir tobt die Ungeduld. Macht schnell! Seid vorsichtig! Die eisigen Nächte, die kommen könnten. Die Kraniche sind dieses Jahr früher als sonst.
Kehrt mir bitte nicht den Rücken zu. Lasst mich nicht im Wald stehen. Ich weiß doch auch nicht weiter!
Wieviel Seiten ein Baum hat?
Wenn ich die Antwort weiß, darf ich wiederkommen?
Machts gut! Und seid bitte vorsichtig dieses Jahr. Es fühlt sich anders an als andere Jahre. Ich kann nicht einfach ein Bild von ein paar schönen Bäumen in die Welt setzen, nicht einfach so.
1 Kommentar:
Wieder einmal - und endlich wieder - hast du einen berührend tiefsinnigen Gedankengang ausgebreitet, einen, dem man in den Wald folgen kann - und ich kann nicht umhin, dass ich dir zustimme: Ja, in der Tat macht sich eine Atmosphäre breit, die zweifeln macht, ob man schöne Dinge in die Welt setzen darf. Aus derlei Zweifeln tauche ich auf und meine, doch, dass man sie in die Welt setzen sollte, nur vielleicht keine Kinder ... Meinen sehe ich sorgenvoll nach, eben wegen der aufkommenden menschlichen Kälte. Mag sein, dass es etwas ist wie der Zuzug der Vertriebenen, der Gastarbeiter, den kaum noch wer in Erinnerung hat und deren Enkel und Großenkel als Krankenschwester und Busfahrer unterwegs sind, vielleicht auch, ihrer wurzeln nicht bewusst, den Hetzern nachlaufen ...
Mut! ... und ein :)
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