Samstag, 20. Dezember 2008

Der Jude Jesus - Eine Buchvorstellung

Gastbeitrag von Martin U.

Pinchas Lapide - Ulrich Luz:
Der Jude Jesus

Thesen eines Juden
Antworten eines Christen

Benziger Verlag, Zürich, Einsiedeln, Köln, 4. Auflage 1986

Zu den Autoren:

Pinchas Lapide wurde am 28. November 1922 in Wien geboren. Er war jüdischer Theologe und Religionswissenschaftler. Er verfasste zahlreiche Veröffentlichungen zum christlichen sog. Neuen Testament sowie zum jüdisch-christlichen Dialog und war Gastprofessor an verschiedenen Hochschulen.
"Nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland kam er 1938 in ein Konzentrationslager, aus dem er jedoch fliehen konnte. Über die Tschechoslowakei und Polen floh er dann nach Großbritannien. Von dort aus gelangte er 1940 mit einem Schiff nach Palästina."
Nach dem 2. Weltkrieg zog Pinchas Lapide nach Frankfurt am Main, wo er am 23. Oktober 1997 starb.
"Nach seinem Tod setzt seine Witwe Ruth Lapide sein Anliegen fort."

Ulrich Luz wurde am 23. Februar 1938 in Männedorf / Schweiz geboren. Er ist ordentlicher Professor der Theologie an der Universität Bern, hat Gastprofessuren in Rom und Pretoria und verfasste zahlreiche Publikationen. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind das Matthäusevangelium, die Hermeneutik sowie die Religionsgeschichte des Urchristentums.

Zum Inhalt des Buches:

Pinchas Lapide stellt in diesem Buch drei Thesen auf.

1. Jesus hat sich seinem Volk nicht als Messias kundgegeben.
2. Das Volk Israel hat Jesus nicht abgelehnt.
3. Jesus hat sein Volk nie verworfen.

Zur Einführung in das Buch werden hier erst einmal nur die (umfangreiche und inhaltlich wichtige) Einleitung und die erste der drei Thesen Lapides vorgestellt.

"Aus Kleingläubigkeit wurde der Andersgläubige zum Ungläubigen verketzert, ja oft sogar zum Unmenschen verteufelt. Das ist das traurige Fazit der fast zweitausendjährigen Entzweiungsgeschichte von Juden und Christen." So beginnt die Einleitung Lapides. Er fährt fort: "Erst heute dämmert uns allen die biblische Binsenwahrheit, daß Gottes universale Vaterschaft zwangsläufig alle Gläubigen unter ein-und-dieselbe schrankenlose Gnadenliebe stellt, die weder heillose Stiefkinder noch ein Sonderheil für Auserkorene kennen kann.

Dank dieser Einsicht stehen wir heute am Anfang eines Dialogs, den es seinesgleichen noch nie gegeben hat: Das erste unbefangene Glaubensgespräch zwischen den leiblichen Brüdern Jesu und seinen geistigen Jüngern - seit dem Auseinandergehen der Wege von Kirche und Synagoge."

Im weiteren Verlauf der Einleitung wird die judenfeindliche Seite der Kirchengeschichte beschrieben, z.B.: "Nicht weniger als 96 Kirchenkonzilien und 114 Päpste haben Gesetze gegen die Juden erlassen, die Israel verhöhnten, verpönten, enterbten, enteigneten, zu Parias entwürdigten und an den Rand des Untergangs brachten." Erinnert wird auch an den Schrei der Kreuzfahrer: "Taufe oder Tod!" und an andere judenfeindliche Äußerungen, von denen viele von Kirchenvätern und anderen bedeutenden Personen der Kirchengeschichte und -gegenwart stammen. So schreibt zum Beispiel ein Günther Schiwy: "Jesus ist der vom AT verheißene Messias, das auserwählte Volk aber hat ihn abgelehnt, was die heilsgeschichtliche Verwerfung des Volkes zur Folge hat."

Pinchas Lapide: "Der Abbau von schriftwidriger Feindseligkeit und der Aufbau biblischer Nächstenliebe ist das einzige Anliegen des Autors [Lapide, M.U.]. Falls es sich jedoch erweisen sollte, wie hier auf Grund neutestamentlicher Aussagen behauptet wird:
- daß Jesus sich seinem Volk nie als sein Messias offenbart hat;
- daß Israel ihn also nicht als seinen Erlöser anerkennen konnte;
- daß die Mehrheit aller Juden, die Jesus ansprach, ihm einen begeisterten Empfang bereiteten;
- daß von "Judenschuld" an seinem Kreuzestod keine Rede sein kann;
- daß Israel Jesus ebenso wenig ablehnte, wie er nie sein Volk verwarf;
- sondern daß seine ungeteilte Liebe, über den Tod hinaus, seinem Volk galt,
dann kann die christliche Theologie an diesen Tatsachen nicht vorbeischweigen."

Seine 1. These JESUS HAT SICH SEINEM VOLK NICHT ALS MESSIAS KUNDGEGEBEN begründet Pinchas Lapide in mehrfacher Hinsicht. Zuerst umreißt er die vielfältigen Messiasvorstellungen vor und zu Jesu Zeiten, denen Jesus nicht entsprach und die Jesus nicht verwarf ("Kein Jota der Thora wird vergehen...").

Dabei wird die politische oder besser gesagt irdische siegende Funktion deutlich. Der Messias ist einer, "der von Jerusalem aus das endzeitliche Friedensreich auf den ganzen Erdkreis ausbreiten soll. Je tiefer das Elend der Unterdrückung, um so erhabener gestaltet sich die Figur des Heilsbringers, um so energischer pocht die intensive Naherwartung auf seinen Einzug. Dem Glaubenspluralismus des Judentums getreu, entwickelte sich unter dem Druck des Römerjoches eine schillernde Vielfalt von Messiashoffnungen, die jedoch hauptsächlich nicht seiner Person galten, sondern vor allem dem Gottesreich, das er, als gehorsames Werkzeug Gottes, erwirken soll."

Lapide nennt elf entscheidende biblische Merkmale des messianischen Zeitalters, von denen ich hier nur das elfte wiedergeben will: "Das messianische Friedensreich
´Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berg; denn die Erde wird voller Kenntnis des Herrn sein, wie das Wasser das Meer bedeckt.` (Jes 11,6-9)"
Es ist klar, dass die Welt dessen noch harrt.

"´Hat also Jesus den traditionellen Messiasbegriff umgeprägt?` fragt Rudolf Bultmann, mit vielen anderen, die eine ´Vergeistigung` dieses Titels befürworten - worauf er antwortet: ´Das könnte nur die Überlieferung lehren. Aber wo zeigt es sich in ihr? Wo findet sich in Jesu Worten Polemik gegen den herkömmlichen Messiasbegriff? Sie findet sich sowenig, wie sich eine Kritik an der jüdischen Vorstellung von der Gottesherrschaft findet.`"

Ein anderer entscheidender Punkt ist folgender: Im Anschluss an fast jede seiner in den Evangelien beschriebenen Krankenheilungen fordert Jesus die Geheilten und die Umstehenden dringend auf, nichts davon weiterzuerzählen. Es gibt keine Bibelstelle, wo Jesus sich in der Öffentlichkeit als Messias bekennt. Der Vorwurf an "die Juden", sie hätten den Messias Jesus nicht anerkannt, ist schon allein daher absurd.

(Was ein eventuelles Bekenntnis nur im Kreis der Jünger betrifft, so wird immer wieder gern das Bekenntnis des Petrus (Mk 8,27-30; Mt 16,13-23; Lk 9,8-22), genannt. Doch dieses ist höchst umstritten. So meint der Theologe R. Bultmann: "Die Szene des Messiasbekenntnisses des Petrus ist eine von Markus in das Leben Jesu zurückprojizierte Ostergeschichte."
Oder Eduard Schweizer: "Da die genaue Ankündigung des Leidens und Auferstehens Jesu (Mk 8,31) unmöglich in dieser Form von Jesus geäußert worden ist - die völlige Ratlosigkeit der Jünger am Karfreitag wäre sonst unbegreiflich - vermuten manche, dass die scharfe Zurückweisung des Petrus (8,32f) historisch gesehen direkt auf den Satz ´Du bist der Messias` gefolgt wäre, so dass Jesus also den Titel völlig abgelehnt hätte.")

Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass auch die zweite These DAS VOLK ISRAEL HAT JESUS NICHT ABGELEHNT und die dritte These JESUS HAT SEIN VOLK NIE VERWORFEN mit ihren Begründungen und auch die Antwort des christlichen Theologen Ulrich Luz höchst aufschlussreich und erhellend sind.

M. U.

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