Freitag, 7. Januar 2011

Naturtagebuch Anhang Römisch Zwei

Tonaufnahmen


CD-Cover


Track 1:
Ein Reh auf der Flucht bellt.
Zuerst unsere Stimmen. Wir haben den Pferden Gutenacht gesagt.
Dann unsere Schritte. Der Untergrund ist weich, aber oben auf dem Fahrweg hört man die Tritte; Kiesel kratzen.
Jetzt kein Geräusch, ich habe das Reh im hohen Gras ausgemacht. Es sieht uns und hält so still, als könne es uns dadurch weismachen, es sei gar nicht da. Unsichtbar für viele Sekunden hintereinander. Wir werden es auch, bis ich wissen will, was als nächstes passieren wird.
Hört jemand den Schreck?
Das Reh wendet mit einem Satz und flieht mit weiten Sprüngen. Seine Geschwindigkeit vermag es fast, es nocheinmal vor meinen Augen zu verbergen. Später sehen wir es wieder.

Track 2:
Ein Hammer schlägt auf etwas ein, oder eine Axt. Groß muss das Werkzeug sein und schwer. In einer Stadt, wo allenthalben Straßen aufgerissen und Häuser entkernt werden, schenke ich dem keine Aufmerksamkeit mehr. So hätte ich beinahe den Schwarzspecht nicht gesehen.
Im Wald an einem Birkenstamm ohne Krone. Auf Augenhöhe. Wie er mit seinem Kopf kräftig zuschlägt und dann einfach auf die Rückseite des Stammes wandert, als er mich sieht. Wie er guckt, links und rechts hervorlugt, ob ich noch da bin.

Track 3:
Ich habe die Eisschollen gehört. Der Brückenpfeiler unter mir hält eine auf, die nächste stößt sich an der ersten, das Wasser treibt weitere heran. Auf der Spree ziehen sie durch die hässliche Stadt oder frieren, wenn es noch kälter wird, vor der Brücke fest. Oben, wo ich bin, machen Menschen und ihre Maschinen alle Geräusche. Selbst die Elektrizität, die großen Buchstaben auf dem Gebäude und die Fotomodelle auf der beweglichen Werbetafel hängen mir in den Ohren. Und nur, wenn ich lausche, höre ich von unten herauf aus einem anderen Raum, was die Eisschollen sagen, und dass es sie überhaupt gibt, dass sie auch da sind, in dem Wasser, das ich sonst nie höre, wenn ich die Brücke passiere.

Track 4:
Der Kuckucksruf geht dir sogleich ins Ohr. Er klingt, wie alle Welt dir Glauben macht, dass ein Kuckucksvogel klingen soll. Viele Male, gerade wieder! Du meinst, jetzt könne Schluss sein mit der Belehrung, du weißt ja wie ein Kuckuck klingt. Doch aus dem undurchschaubaren Gewirr von Ästen und Zweigen und Blättern ruft es wieder und wieder. Nach wem wohl? Kuckuck rufen Kinder aus ihrem Versteck, aber niemand springt unter dem Haselstrauch hervor und keiner winkt dir aus der Weide. Die kleine Terz abwärts noch einmal und wieder, und gut gesprochen, schnell weiter! Das schreckliche Tier!

Track 5:
Die Harvester macht einen Lärm!

Track 6:
Im Winter beglückender Lärm aus dem Efeu an der Hauswand. Ich sehe niemanden.

Track 7:
Ein fieses Schaben. Was die Tonaufnahme nicht zeigt, ist das Eichhorn mit der Nuss zwischen den Vorderpfoten.

Track 8:
Diesmal im Januar. Ich habe das Kuckuck wieder gehört. Ein zweites Mal, falls ich es beim ersten Mal nicht glauben wollte. Doch den Beweis, dass ich mir nichts einbilde, gibt mir erst das dritte Mal. Es bleibt das letzte vorerst. Es ist das kuck vom Kuckuck, das letzte kuck, nicht das erste. Vielleicht war's doch ein anderer Vogel, ein komischer zumal.

Track 9:
Der dicke Schnee schluckt jeden Ton. Nicht das Spechtklopfen über uns. Aber ich horche auf Kinderstimmen, Quietschen, sich Zurufen, irgendwelche Töne von ihnen. Wenn der Specht pausiert - was überlegt er da oben zwischendurch so lange? - höre ich den Schnee liegen. Ein Kindergarten im Wald ist eine feine Sache. Wenn ich mich auf der Suche nach ihm an den direkten Weg gehalten hätte. Plötzlich sieht alles gleich aus. Mein Handy nützt mir nichts, weil ich meine eigenen Koordinaten nicht kenne. Dem Kind die neu hinzugekommenen Spielregeln vom Suchen transparent machen, den Schlitten eine Viertelstunde Weges zurückziehen und einen neuen Weg ausprobieren mit einer frischen Spur, die unsere nicht sein kann. Schlittenkufen und Stiefelabdrücke etwa eine Schuhnummer größer als meine sprechen mir laut und aufmunternd zu. Dabei ist um mich alles so still wie vorher. Aber in mir tönt Triumph. Und ehe ich die Betriebsgeräusche des Waldkindergartens höre, sehe ich in der Ferne ein Schlittengespann wie das unsere, zu weit, um danach zu rufen, und kurz darauf die ersten Farbtupfer zwischen Bäumen.
Das wiederholte Anhören von Track 9 führt mir vor Ohren, wie laut es trotz allem in meinem Kopf ist. Stopptaste.

Track 10:
Erst vorstellen, wie die Weidenäste sich in den Himmel strecken, die jüngsten Ruten genießen ihren ersten Sommer, der Stamm hat vielleicht schon 50 Jahre gesehen. Erst sich unter den Baum setzen und über die Stille wundern. Es tut mir Leid, ich habe die Ringeltaube ohne Absicht verscheucht. Erst sich zurücklehnen und die gefurchte Rinde am Hinterkopf spüren.
Mit den Insekten allein zu sein. Den Stillen, die man nicht hört, wenn sie laufen.
Eine Mücke nähert sich dem rechten Ohr. Ist sie weg, sind Herz und Atem die stärksten Tongeber an diesem Ort. Bis eine Fliege unter das Baumzelt fliegt. Das Brummen ist ein Ohrenschmaus.
Dann rate ich dringend, leiser zu stellen. Die Aufnahme ist übersteuert. Unterm Baum allerdings darf man sich dem Lärm ruhig ausliefern. Vielleicht ist es zuerst noch unangenehm, als schwinge jemand eine Holzratsche über deinem Kopf, dieses "Kinderspielzeug" zum Krachmachen. Wenn du denkst, sie zetern und streiten - denn beides wurde schon über Elstern gesagt -, dann raubt es dir den Nerv und du willst am liebsten dazwischenfahren. Je mehr du dich aber hineinbegibst, wirst du vielleicht das Mystische darin empfinden. Der zweite Teil der Tonaufnahme ist gut ausgesteuert und kann wieder bei voller Lautstärke genossen werden.

2 Kommentare:

mkh hat gesagt…

Ein schönes Spiel mit den Sinnen. Worte wie Augen-Blicke. Still gelesen werden Geräusche lebendig. Und mehr. Ich habe auch den Schreck gehört.



Da fällt mir ein: Du kennst das Radiofeature "Nada Brahma. Die Welt ist Klang" von Joachim-Ernst Berendt?

sumpffuss hat gesagt…

Lieber mkh,
Nada Brahma kenne ich nicht - hab jetzt was davon bei youtube gefunden. Es mir anzuhören, brauche ich mehr Muße, als ich mir zur Zeit für diese Art Hören nehme.
Von Joachim-Ernst Berendt würde ich gern "Das Leben, ein Klang. Wege zwischen Jazz und Nada Brahma." lesen. Bibliothek. Vielleicht gibts da ja das ganze Feature.
Danke für diese schöne Anregung!