Montag, 1. April 2013

Monsterbücher

Eine Buchempfehlung oder zwei und ein Interview oder zwei

Hester Maulfrosch ist Frosch und Autorin und macht mit ihrer jüngst neu aufgelegten Autobiographie einer Eintagsfliege die Zeit vergessen.
Warum sollte eine Fliege es sich leisten, den einzigen Tag Lebenszeit an die Beschäftigung mit dem Leben einer Fröschin zu vergeuden?

Eintagsfliege: (Stimme wurde verfremdet) Das Buch las sich wie ein Thriller, ich wollte da durch! Meine Flügel vibrieren, wenn ich von Hesters Raubzügen lese und vom Akt des Fressens, der mit einer langen Zunge beginnt. Für mich als Leserin ... - ich erlebe die Jagd auf mich, ich versetze mich in die Fliege im Buch, ich erlebe es, auf einem roten Teppich kleben zu bleiben, ich stelle mir den intensiven Geruch vor, der dem Froschmaul entströmt. Die Schwierigkeit beim Lesen bestand nämlich darin, nicht aufgefressen zu werden. Bei Gefahr habe ich mich selbstverständlich zwischen den Seiten versteckt, aber was, wenn das Buch zugeschlagen wäre?

Der Biologe misst an der Fliege eine erhöhte Körperkerntemperatur.  Auf der einen Seite die Angst vor den Fressmonstern auf der anderen Seite die Faszination für ein Monster derselben Kategorie. Monsterfieber?

Ich will doch wissen, mit wem ich es zu tun habe. Das Buch gewährt mir einen längeren Blick auf  Monster, als es ein leibhaftiger Frosch für mich tun würde, darum ziehe ich das Buch vor. Zur Autogrammstunde fliegt niemand, der noch ganz bei Trost ist. Das Monsterfieber bewirkt bei mir zumindest keine Eintrübung des Verstandes, würde ich sagen. Ich würde sogar sagen, es ist eine Leistung meines Verstandes, denn, wie ich schon sagte, ich will doch wissen, mit wem ich es zu tun habe, deshalb beschäftige ich mich mit Monstern!

Eine Eintagsfliege scheint lächerlich klein. Sie schwimmt an einem Abend im Sommer mit Hunderten anderen Fliegen auf der Wasserobefläche, das habe ich gesehen. Ich will ihre Angst vor schrecklichen Wesenheiten und ihr Interesse daran nicht lächerlich machen. Habe ich doch selbst schon einmal angedeutet, dass Monster in meinem Leben eine Rolle spielen, als ich Monsterspuren im Blog hinterließ. Erst nach meinem Outing stieß ich auf Monsterbesuch. Und hier beginnt die Buchempfehlung. Brigitte Schär (Autorin) und Jacky Gleich (Illustratorin) (1996)

In Schär-Manier
stehen die Zeilen
eine nach der anderen
da und
kleine Extraseiten zwischen den Seiten,
Türen, Fenster, Kofferdeckel,
gewähren den Blick
in Monstermäuler,
auf Polizei und Feuerwehr und
die Reiseroute von zwanzig Monstern.

Monster sind die, vor denen man Angst hat. Monster sind immer die Anderen. Wie kommt es dann, dass sich eine eine Fliege vor sich selbst fürchtet? Das Monster im Spiegel zischelt ihre eigenen kleinen Hasstiraden auf jener Melodie, deren Urheberschaft die Fliege für sich bereits beansprucht hatte.

Das bin ich nicht!

Doch wenn sie sich jetzt distanziert, wird ihr keiner mehr glauben. Insgeheim wünscht sie sich einen Stachelrüssel, wie sie ihn bei der Mücke gesehen hat. Schon blitzt es im Spiegel. Aber wer darf davon wissen? Niemand, denn es ist nicht fein, monströs zu sein.

"Ich glaubte, wenn ich sie nicht erziehe, dann würden sie mir allesamt zu Monstern geraten.", schreibt Hester Maulfrosch, und weiter heißt es:

"Angesichts ihrer Überzahl ist das ein Grund, die Kaulquappen schreien zu lassen, ihnen zu sagen, "das heißt nicht 'ich will', das heißt 'ich möchte'!", und in einem so kleinen Teich bei so vielen ist es wirklich ratsam jedem Gefühl entgegenzuwirken, das Dissonanz erzeugen könnte."

Bei Brigitte Schär im bewährten Duo mit der Illustratorin Jacky Gleich sind es auch

die Eltern mit ihrer Angst
vor den Monstern,
die das Kind
hereingelassen hat.
Die Monster fühlen sich wie zu Hause.
Sie fressen alles auf,
Gläser, Geschirr,
sie schlagen die Wohnungseinrichtung kaputt
und
hinterlassen eine schöne Unordnung.

Braucht es Polizei und Feuerwehr?

"Die Frau hatte solche Angst vor mir, dass ich selbst überzeugt war, ein Monster zu sein." (Hester Maulfrosch)

Eintagsfliege: Bei diesen Zeilen aus Hester Maulfroschs Feder tat mir mein Monster Leid. Ich fühlte zum ersten Mal Mitleid mit Hester. Sie blieb ihr Leben lang ungeküsst, nachdem sie sich den Kopf an einer Wand arg angeschlagen hatte. Es war die Schuld der Frau!

Wir stellen der Eintagsfliege ausgeklügelte Fragen, aber sie sinniert in anderer Richtung weiter. Verschwenden wir wertvolle Zeit, frage ich den Kameramann, der weist mit dem Kinn über seine Schulter zum Biologen. Stattdessen antwortet die Fliege.

Sich seinen Monstern zu stellen, braucht es eine sichere Basis. Ich konnte mir Hesters Autobiographie nur deshalb in Ruhe erarbeiten, weil an meiner Wiege eine gute Fee gestanden hatte und die hatte mir noch einen zweiten schönen Tag gewünscht.


Foto aus Privatbesitz, Die Monster unserer Zeit
Auch Hester sah sich ihre Fressfeinde genau an und das auch nur aus sicherer Entfernung.
Zum Schluss noch ein ernstes Wort.

Empfehlenswerte Monsterbücher:
Paul Maar (1999) In einem tiefen dunkel Wald. Verlag Oetinger
Brigitte Schär (Worte) und Jacky Gleich (Illustrationen) (1996) Monsterbesuch. München, Wien

Die verehrten Leserinnen dieses Artikels sind aufgefordert, die Liste empfehlenswerter Monsterbücher mit eigenen Empfehlungen zu erweitern.

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