Freitag, 19. Juni 2020

Tee im See

Aufzeichnung der Teerunde im Entenkreis aus dem Monat März im vorletzten Jahr mit Blick hinter die Kulissen

Tage, an denen es schwer fällt, den Tisch zu decken, wer will von solchen Tagen wissen. Tage ausgefüllt mit Nichtstun, hinterher fällt es schwer, von solchen Tagen zu erzählen. Wenn sich dann auch noch Tag an Tag reiht, eine Woche Nichtstun, am Sonntag folgt das Event, man trifft sich, die Sonne heizt, man hat zusammen Spaß, am See, mit Enten und wird gefragt,
was machst du so?


Die Mandarinente drei Liegeplätze weiter plustert sich auf.
Sie gehen solche Fragen nichts an.

Darum ist sie mein Experte in der heutigen Teerunde:

In diesem Kreis wird es um Fragen zum Nichtstun gehen, zum Leben. Wie tut man, wie lebt man? Und auch: Wie kann man nichts tun? Wie geht das? Verschiedene Arten Nichtstun. Wenn nichts zu tun zur Vollzeitbeschäftigung wird. Zehn Ratschläge zum Nichtstun. In nur fünf Schritten zum Nichtstun. Wie Sie ganz nebenbei nichts tun können. Nichtstun als Nebenjob. Ein Buch wird vorgestellt, das nie geschrieben worden ist: Vom Nutzen und Unsinn der Untätigkeit. Und die philosophische Ente lässt uns schauen, was aus dem Nichts geboren wird und wie das geht.

Auf die Ente projiziere ich mein Nichtstun. An ihrem Sein im Untäterätigsein will ich lernen. Und so habe ich ich ihre Gesellschaft zu meiner Teegesellschaft erklärt.




"Das Nichtstun zu erforschen, musst du aufhören zu tun!" raten mir die Enten am See. "Du kannst nicht so tun, als ob du nichts tätest. Das Nichtstun will gelebt werden."

Mach nichts! Hör auf! Loslassen ist ein oft gehörtes Wort. Vom Tun lassen.
Lass es!, sage ich mir, lass es lieber sein. Aber schon nach kurzer Zeit scheitere ich und fange wieder von vorne an, darüber nachzudenken, was ich tun muss, um ein vollwertiges Mitglied in einer Gesellschaft zu werden, die nicht nur aus Enten besteht. In meinem Kopf wird es laut. Es schnattert und hört nicht auf.

"Der Anfang von Nichts liegt in dem Moment der Stille. Da findest du ihn. Glaub uns!", sagen die Enten. Sagt eine Ente - die anderen sagen nichts.

Die Ente ist Ente von Beruf. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als das und ich will das auch sein, nur als Mensch. Bloß sein.
Das hieße, mir die Blöße zu geben. Das hieße, den anderen zu sagen, hey, schaut her, ich bin da, ich esse, ich trinke, ich scheide aus, ich schlafe und, wer weiß, vielleicht schnarche ich im Schlaf - das kann ich doch nicht wissen. Aber das Schlimmste ist, ich genieße. Ich meine, ich genieße einfach so. Ich besuche keinen Genießenlernenkurs, kein Restaurant und kein Yoga, ich bezahle nichts dafür und schließe mich zum Genießen auch nicht in meiner Wohnung ein.

Ente schwimmt das V
Was Enten tun.

Ich konfrontiere die Enten mit den Konsequenzen ihres Entenseins:

Nichtstun hat negative Folgen. Der Wasserspiegel sinkt. Anwohner sagen, vor dreißig Jahren, vor dem Bau des Wohngebiets, markierten die Bäume die Grenze des Sees. Heute liege die Wasserfläche rund einen Meter tiefer. Dreißig Jahre, in denen Stockenten nichts dagegen taten. Wie Bojen schwimmen sie immerzu auf dem Wasserspiegel und halten mir und allen Menschen vor Augen, wohin es mit dem Wasser geht. Sie mahnen stumm. Aber eigentlich tun sie das nicht.

Leider sinkt auch der Spiegel in unseren Teetassen. Es ist schwer, in den vollen Genuss des Nichtstuns zu kommen. Der Teetrinker leidet keinen Mangel an Wasser. Indem ich Tee trinke stille ich einen anderen Durst in mir. Die Enten kapieren sofort, warum wir nur aus kleinen Tassen trinken und warum wir die Tätigkeit des Trinkens  reduzieren, aufschieben, hinauszögern. Die Kunst besteht darin, die Tasse zu leeren, solange sie heiß ist, und sie dennoch nicht auszutrinken. Wenn die Tasse leer ist, ist das Teetrinken vorbei. Bleibt sie zwar gefüllt, aber wird kalt, fehlt uns die tiefe Befriedigung, die wir beim Teetrinken sonst empfinden.

Hinter den Kulissen
Hinter den Kulissen/Making of:

Jeder, den ich dieser Tage frage, "hast du Zeit auf einen Tee?", erklärt mir, er habe zu tun. Von wichtigen Büroarbeiten bis hin zu unabänderbaren Familienbesuchen haben die Menschen Arbeit, und ganz offiziell stehen auch bei den Enten Hochzeiten und dazu die vielen Brautwerbe an, bei der ein Erpel einer Frau unermüdlich folgt, an ihrer Seite ruht oder still steht, so sie zu ruhen gedenkt. Ich habe die Enten zum Teetrinken abgepasst, als sie noch nichts zu tun hatten. Aktuell brüten sie, sind alle weg vom See, wo es keine Rückzugsmöglichkeit gibt. Ein einziges Stockentenpärchen ist zurückgeblieben, vermutlich weil es keine Eier hat. Die Beiden schnabbeln dort im Uferwasser, wo die Kaulquappen sind.
Die Mandarinente.

Ich hab mal gehört, wie ein Spaziergänger seiner Frau, die auch spazieren ging, eine Ente zeigte, sie hatte das bunte Tier längst erblickt und er sagte, das sei eine Pekingente.
Der Wasserspiegel ist ist in den letzten dreißig Jahren gesunken.
Eine Anekdote, welche die Teerunde zu meiner Überraschung beendet.

An diesem Nachmittag mit den Enten entwickle ich einen Teststreifen, der Tee im See anzeigt. Dieser Test kann nur einen positiven oder einen negativen Befund nachweisen. Ein positives Testergebnis sagt nichts über die Menge an Teewasser im Seewasser aus. Um auch darüber Gewissheit zu erlangen, empfiehlt es sich, das Wasser aus dem See zu kosten.








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